Techno-Theorie

Medien-Subversion, -Guerilla, -Sabotage, -Störung, -Dissidenz, -Piraterie, -Hijacking und andere Phantasien

von Oliver Marchart

Die Medientheorie ist bekanntlich nicht gerade für ihr wissenschaftliches Ethos berühmt. So wie ein bestimmter Teil der Medienkunst im Verdacht stand, das Schöne (bzw. Bloß-Hübsche) in der Kunst rehabilitieren zu wollen, so hat sich über lange Jahre Medientheorie den Ruf erarbeitet, nicht mehr zu bieten als begriffliche Dekoration. Schlagworte wie Simulation, Dromologie, Verschwinden, Fraktalität, Virtualität schmücken die Symposien und werden je nach Saison abgelöst durch Körper, Kontext, hybridity, reflexivity. Diese Art von Mickey-Mouse-Theorie gilt inzwischen als niedrigste Wissenschaft im post-modernen Theoriekanon, selbst in Topform selten heranreichend an auch nur durchschnittliche Texte des gegenwärtigen Feminismus, der Psychonalyse, culture studies, Filmtheorie, etc. Medienwissenschafter ernähren sich ganz gut vom abgesunkenem Theoriegut anderer.

Es stellt sich also die Frage: Gibt es eine politische Theorie der Neuen Medien jenseits aller Kittlers und Bolzens? Mediendeterminismus[1] läßt sich die Behauptung nennen, Medien seien einzige Ursache gesellschaftlicher Organisation und Veränderung, à la "die Grenzen meiner Medien sind die Grenzen meiner Welt". Für Sabeth Buchmann wird Technologie nach solchen deterministischen Theorien als "Substanz, d.h. als ein eigenständiges Wesen mit Willen zum Fortschritt vorausgesetzt, wogegen sich politisch aufzulehnen sinnlos sei. Am Ende macht es keinen Unterschied, ob die sich daraus ergebenden Gegenwartsanalysen und Zukunftsprognosen pessimistisch (vgl. z.B. Baudrillard), optimistisch (vgl. z.B. Flusser, Weibel) oder zynisch-neutral (vgl. z.B. Bolz) gemeint sind. Entscheidend ist vielmehr, daß die Konzepte von >Kultur<, >Gesellschaft<, >Geschichte< und >Natur< technikdeterministisch gedacht werden" (81)

Es stellt sich die Frage, was solchen Theorien entgegenzuhalten wäre. Bisher waren als Antwort zu diesem Technikdeterminismus (Beispiel: Kittlers "die Schreibmaschine hat den Feminismus verursacht"-Theorie) hauptsächlich Subversions-, Guerilla- und Sabotagephantasien ins Feld geführt worden. Die einzige Alternative weit und breit schien eine Art lifestyle-techno-Anarchismus (etwa um Semiotext(e) in NY, Agentur Bilwet in Amsterdam und dem 121Centre in London) mit einem gewissen deleuzianischen touch.

Subversions- und Undergroundstrategien sind in letzter Zeit aber unter Beschuß gekommen. Im Anschluß an die deutsche Repolitisierungsdebatte erwies sich auch das Konzept Subkultur endgültig als problematisch. So schrieb etwa Günther Jacob in 17oC: "Die Underground-Mainstream-Dichotomie wird von der Kulturindustrie als unverzichtbares Identifikationsangebot gesponsort."

Mit Subversion und Subkultur waren nun immer auch Strategien verbunden wie Störung, Avantgarde, Piraterie, Terrorismus, Guerilla, Hijacking und nicht zuletzt der Begriff Strategie selbst. Von der Infragestellung solcher Konzepte dürften auch sowohl Medientheorien, die auf subversive wisdom setzten, als auch Subversionstheorien, die auf die neuen Medien setzten, betroffen sein. Schließlich hatte besonders Medientheorie - keiner weiß warum - immer einen subversiven radical chic[2]. Ein paar Beispiele dafür:

- das Konzept Datendandy von der Amsterdamer "Agentur BILWET", insbesondere von Geert Lovink. Für BILWET löst der Dadtendandy den Cyberpunk ab. Er hat eine Art feudales Verhältnis zu den Daten, er sammelt Informationen, um damit zu prahlen und sich im Spiegel des Bildschirms offenbar in sich selbst zu verlieben. Offensichtlich geht diese Strategie auf das Pop-Modell von Subversion zurück

- das Konzept TAZ (Temporäre Autonome Zone) von Hakim Bey, alias Peter Lamborn Wilson. Das hat etwas mit einer anarchistischen Nomadologie zu tun und wird bevorzugt von Deleuzianern rezipiert. Eine TAZ öffnet sich - wie etwa das Internet - für einen Moment und gibt Piraten, "ontologischen Terroristen", "Kunstsaboteuren" und anderen Helden Beys die Gelegenheit, sich darin zu tummeln. Sobald sich die TAZ schließt, ziehen sie wieder weiter.

- das Konzept elektronische Störung und digital activism vom Critical Art Ensemble, einer Künstlergruppe, die innerhalb und außerhalb der elektronischen Medien arbeitet. Für das CAE muß "das Vokabular des Widerstands erweitert werden, indem die Mittel der elektronischen Störung einbezogen werden. Genauso wie die früher auf der Straße verankerte Macht durch Demonstrationen und Barrikaden getroffen werden konnte, muß die Macht, die sich selbst im elektronischen Feld verankert hat, mit elektronischem Widerstand getroffen werden."[3]

- das Konzept TV- und Video-Guerilla (Paper Tiger TV und unzählige andere)[4]. Mit der Verbreitung von Handycams hat sich massenhaft die Möglichkeit, optisch "zurückzuschießen", der prominenteste Fall von Video-Guerilla war wohl die Aufnahme der Polizeiübergiffe gegen Rodney King. Das geht bis zu Versuchen, Gegen-Informationsnetze, Nachrichtendienste oder einfach kritisches community-TV aufzubauen.

Medienguerilla aus Sicht der Laclauschen Hegemonietheorie

Solche partikularistischen bzw. individualistischen Konzepte erscheinen nun aus zumindenst zwei Perspektiven als ungenügend: aus der Sicht der Kulturindustriekritik und aus jener der Hegemonietheorie.

Aus der Sicht der Kulturindustriekritik (Günther Jacob: "Es gibt heute keine KULTURELLE Opposition zur Kulturindustrie mehr, die nicht selbst bereits Teil der Kulturindustrie wäre") vor allem pop-kulturelle Subversionsstrategien entweder immer schon nur ein Branche des Marktes (sog. independent labels erfüllen Scout-Funktionen für die majors, etc.), was ungefähr die Position Günther Jacobs ist. Oder jede subkulturelle Widerstand wird früher oder später vom Kapital "vereinnahmt", reterritorialisiert, wie das bei Deleuze und Guattari heißt. Eine Position, die etwa Katja Diefenbach vertritt: "Radio-Piratinnen, Techno-DJs, Hacker usw. sind subkulturelle Beispiele für die Aneignung und Umfunktionierung von technischen Maschinen. Aber solange sie in der subkulturellen Nische marginalisiert sind, bieten sie keine Perspektive der gesellschaftlichen Veränderung und müssen vollkommen kapitulieren vor der Potenz des weltweiten Kapitalismus." (in: A.N.Y.P. 6, S.2)

Im Anschluß daran werde ich ein paar Bemerkungen dazu aus Sicht der Laclauschen Hegemonietheorie machen. Offenbar stellt sich die Frage, ob solche Störungskonzepte hegemoniefähig sind. Eher sieht es so aus, als könnten hit and run-Strategien (Terrorismus, Sabotage, Guerilla, Avantgarde) die zur Hegemonie notwendige Fixierungsleistung von Bedeutung eben nicht bringen, denn unter normalen Umständen ist keine Äquivalenzierung mit anderen Forderungen möglich. Was heißt das.

Normale Umstände

Heute "anormal" wären Umstände, wie sie Laclau unter dem Begriff "Popularer Bruch" gefaßt hat. Gemeint sind Revolutionen und Systemwechsel. Voraussetzung dafür ist eine weitgehende Homogenisierung des symbolischen Raums um einen einzigen Antagonismus. Laclau hat eine vollständig antagonisierte Gesellschaft mal so beschrieben: Du fragst jemand um die Uhrzeit, und er haut dir in die Fresse (das zeigt schon, daß eine vollständige Antagonisierung so gut wie unmöglich ist). Wenn wir davon ausgehen, daß die Französische Revolution aus einer so hochgradig in zwei symbolische Felder geteilten Konjunktur entstand, dann ist die Behauptung nicht völlig unsinnig, daß das Glitzern einer Manschette oder das Hochziehen einer Augenbraue die Revolution ausgelöst habe. Jemand hat im richtigen Moment "nach der Uhrzeit gefragt".

Das heißt, unter Bedingungen der weitgehenden Homogenisierung des politischen Felds haben individual-interventionistische Strategien tatsächlich eine gewisse Chance: das Sprengen eines Telefonmasts wäre hier u.U. auch von so großer symbolischer Sprengkraft, daß es zu einem popularen Bruch kommt. (Wohlgemerkt, die Voraussetzung der Homogenisierung muß vorgängig gegeben sein.) Wir könnten das eine modernistische Form von Politik nennen. Diese modernistische Form von Politik hat einen ganzen Kanon ästhetisch-rhetorischer Pathosformeln im Schlepptau, die in spät- oder minder-modernistischen Politiken antiquiert erscheinen. Es ist nicht nur die nationale, völkische oder Klassen-Einheit, welche über pathetische Riten beschworen werden soll, auch aus der Sicht der jeweiligen Dissidenz ist das Feld antagonisiert. Das führt zum bekannten Pathos der Subversion. (Das pathetischste mir bekannte Beispiel dafür ist der Revolutionäre Katechismus von Netschajew).

D.h. die modernistische Variante der Politik ist tatsächlich eine Variante der Demokratie. (Claude Lefort etwa hat Totalitarismus nicht als Gegenteil von Demokratie beschrieben, sondern als spezifische Form der Demokratie). Der populare Bruch ist ein Sonderfall einer üblicherweise eher dispergenten Antagonisierung, einer Vielzahl von Antagonismen auf verschiedenen Ebenen, die (noch) nicht miteinander gekoppelt sind[5]. Der Prozeß der Homogenisierung/ Blockbildung - der Koppelung dieser Antagonismen - läuft über die Äquivalenzierung divergenter politischer Forderungen zu einer Kette: der Titel für diesen Prozeß ist Hegemonie. Doch in einer wenig homogenisierten Situation sind pointilistische Aktionen nicht hegemonierelevant.

Warum Störung allein nichts nutzt.

Nun scheint sich auch für Bey/Wilson die "Temporäre Autonome Zonen" (Paradebeispiel: elektronische Netzwerke), im gleichnamigen Buch noch als eine plausible Widerstandsstrategie gehandelt, nun (spätesten seit der Komplementierung des TAZ-Konzepts durch das Konzept Permanenter Autonomer Zonen) als so nicht haltbar erwiesen zu haben. "The PAZ serves a vital function as a node in the TAZ-web, a meeting place for a wide circle of friends and allies who may not actually live full time on the 'farm' or in the 'Village'".

Das Abschreckende am Zitat ist erstmal die "permakulturelle" Idee, pseudo-ländliche Gemeinschaften zu stiften. Deshalb dürften ja auch David Koresh und seine Davidianer bei manchen so beliebt sein, nämlich weil er eine "Gemeinschaft gestiftet" hat. Eine Farm am Land, genug Muße zum Hühnerfüttern und den Zusammenbruch des Kapitalismus selbstversorgt abwarten! (Solche Phantasien verführen Bey sogar zur Behauptung, daß wenn alle Demo-Linken und 3rd-Party-Liberalen ihre Energien in die Errichtung einer Untergrundökonomie gesteckt hätten, die Revolution schon längst da wäre.) Bei den um das Brixton-Rd.121-Center herum organisierten Gruppen (Praxis, Autonomous Astronauts, ) übernimmt diese Sozialfunktion das Internet, eben nicht als technisches Instrument sondern als "community". Nennen wir das den Lebensform- oder lifestyle-Irrtum, der auf einer Verwechslung des Politischen mit dem Sozialen beruht.

Zweitens gibt Hakim Bey mit dem Text zu, daß das Nomadismus-inspirierte TAZ-Konzept nicht ohne PAZ-Homebase funktioniert, bzw. daß die einzelnen Fäden des Gegennetzwerks irgendwo permanent verknüpft werden müssen. Damit macht er einen notwendigen zweiten Schritt, den man an der sog. post-strukturalistischen Theoriegeschichte immer wieder verfolgen kann: nach dem De kommt das Re. In den 60ern waren diese Theorien ausgezogen, um dem Strukturalismus die Offenheit und Dezentriertheit der Struktur, das Spiel der Differenzen, den flow der libido oder des "Semiotischen" zu lehren. Am Ende des Tages mußte jedoch nicht nur endlich mal festgestellt werden, wie Bedeutung gleitet (was eben gegen starre Konkurrenztheorien der Zeit gerichtet war, sowie gegen das "Präsenzdenken" abendländischer Metaphysik), sondern es mußte darüberhinaus geklärt werden, wie Bedeutung sich in diesem Flux dann doch partiell fixiert. Ansonsten behielten die üblichen Habermasianischen Kritiken nämlich auf triviale Weise recht, die dem Post-Strukturalismus ein Konzept von Sprache als bloßem poetischen Spiel vorwerfen, einem Spiel, das einerseits weder Inseln von Rationalität in diesem Fluß ausreichend erklären kann, noch Abbrüche des Spiels durch Entscheidungen und Machtkämpfe. Dadurch empfahl sich ein zweigeteiltes Theoriedesign um Paare wie Destruktion/Konstruktion (=Dekonstruktion), Deterritorialisierung/Reterritorialisierung - Bey geht jetzt mit TAZ und PAZ durch diese Erfahrung -, oder allgemein signifikationstheoretisch gesprochen um das Paar Fixierung/Defixierung bzw. Defixierung/Refixierung von Bedeutung.

Auf der allgemeinsten Ebene kann Hegemonie als Fixierungsleistung von Bedeutung verstanden werden. Die Laclausche Theorie geht auch immmer stärker diesen Weg hin zu einer allgemeinen Theorie der Signifikation. Aus der Sicht der Laclauschen Hegemonietheorie würde ich also mal eine Antwort versuchen, warum punktueller Interventionismus nicht hegemoniefähig ist.

Nehmen wir das Beispiel der "elektronischen Störung" des Critical Art Ensemble. Wenn es ein "gesichertes" (übereinstimmendes) Ergebnis poststrukturalistischer Medien-, bzw. Kommunikationstheorie gibt, dann, daß es nicht nur keine Kommunikation ohne Rauschen (Störung) gibt, sondern sogar, daß Störung Bedingung der Möglichkeit von Kommunikation ist (Serres, etc.). Wenn es also zur Funktionslogik von Kommunikation gehört, partiell gestört zu sein, wieso sollten Störungsstrategien subversive Effekte haben?

Ein zweites Problem taucht sofort auf. Zwar kann davon ausgegangen werden, daß interventionistische Strategien tatsächlich zu Effekten führen (nach Althusser führen sogar Interventionen in der Philosophie (als Klassenkampf in der Theorie) zu Effekten sonstwo), aber nur unter Annahme eines deterministischen Verhältnisses zwischen dem Feld der Produktion/Intervention und dem Feld der Effekte kann die Art der Effekte vorhergesagt werden (d.h. sie könnten auch vollständig kontraproduktiv sein). Von so einem deterministischen Verhältnis läßt sich aber in keiner Konjunktur ernsthaft ausgehen. Genau an diesem Punkt erweist das Beispiel mit den blitzenden Manschetten seine ganze Kraft. Es läßt sich eben nicht vorhersagen, wann und wo ich meine Manschetten in die Sonne halten muß, um eine Revolution zu entzünden. Hier liegt ein Grundproblem jedes partikularistischen Interventionismus à la Sabotage, Guerilla, Störung oder Piraterie.

Sind Ansätze vorstellbar, die diese Sackgassen vermeiden? Wie müßte eine Medientheorie aussehen, die sich weder in einem Mediendeterminismus noch in einem subversive chic verfängt?


[1]sh. dazu und darüberhinaus: Sabeth Buchmann, Nur soviel: das Medium ist nicht die Botschaft, in: Marius Babias (Hg.), Im Zentrum der Peripherie, Dresden/Basel 1995. - Katja Diefenbach, Wunschlos Unglücklich. Über technologisch unterstützte Herrschaft, Freizeit-Knäste und Wunschmaschinen, A.N.Y.P. 1994, Nr.6. - Oliver Marchart, Kolonien im Netz. Zur Entdeckung und Eroberung des elektronischen Kontinents, in: Volksstimme, Wien, 39/1995, S. 15-16

[2]Katja Diefenbach beschreibt diesen Chic folgendermaßen: "In falscher Bezugnahme auf die Diskursanalyse (Foucault), auf Poststrukturalismus (Derrida, Deleuze, Guattari), in Bezugnahme auf den Glamour subkultureller Praktiken, auf Hacker-Militanz, auf den Schick postmoderner Pop-Phänomene wie japanischer Computerkids besetzt sie (die postmoderne Medientheorie) in der Debatte um die neue Technologie so etwas wie den Platz der >technological studies<", Katja Diefenbach: Wunschlos Unglücklich. Über technologisch unterstützte Herrschaft, Freizeit-Knäste und Wunschmaschinen, in A.N.Y.P, nr.6, S.2

[3]Critical Art Ensemble: Die elektronische Störung. Nomadische Macht und kultureller Widerstand, in Die Beute, 3/94, S.82

[4]Das zentrale Phantasma der ÖH-Medientage dürften andererseits weniger Subversions- als Demokratisierungsphantasien sein. Die Vorstellungen von public access und demokratischen Kleinst- und Hausmedien sitzen aber genauso einem gewissen fröhlichen Partikularismus auf (wir drücken uns nicht mehr nur gegenseitig die Flugzettel in die Hand, wir spielen uns auch gegenseitig unsere Freie-Radio-features vor).

[5]Diese Erklärung weicht von Laclau ab, insofern sie versucht, modernisierungstheoretische Annahmen zu umgehen. Für Laclau ist die zunehmende Diversifikation des politisch-sozialen Feldes Folge der dislokatorischen Effekte des Kapitalismus, was seinen ökonomismuskritischen Absichten widerspricht.