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Grundrisse einer Netzkritik

1. Toward a European Standard Code for Critical Interchange (ESCCI)

Bezeichnen wir das Internet einfach einmal als 'Kind der Moderne', soist das klassische Genre der Kritik sicherlich ein Teil davon. Im nochandauernden Zeitalter des multikulturellen Massenkonformismus, vollerMikropraxis und Ich-Management, ist die Kunst der Kritik jedoch inVergessenheit geraten. Die hiesigen Kommentare zielen nur noch aufKorrektur von Verhaltensweisen ab. Die Meinungsmacher/innen haben allesAngebotene laengst hinter sich, sie sehen das Ganze wirklichdifferenziert, aus sicherem Abstand. Die glueckliche Tatsache, man seieben nicht engagiert, wird als persoenliche Errungenschaft gefeiert.Solche talking heads ohne Eigenschaften sind aber nutzlos in Zeitenrascher Entwicklungen, sowie das beim Wachstum der Computernetze imMoment der Fall ist.

Die alte Kritik zielte auf einen Moment der Entscheidung. Die neue Kritik versucht diesen nun solange wie moeglich hinauszuzoegern in dem immer neue Unterscheidungen eingefuehrt werden. Es gilt die Welt des Wissens in Diskurse zu unterteilen um sie beherrschbarer zu machen. So werfen Technophobe und Textophobe sich gerne gegenseitig die Fetischisierung der je eigenen Werkzeuge vor: Waehrend die Technikfeinde an der Ordnung des Schriftdiskurses festhalten, sind die Textfeinde betaeubt von der Funktionsvielfalt ihrer Wunschmaschinen. Zwischen Verweigerung und Euphorie ist daher ein Niemandsland entstanden, in dem sich bisher nur wenige aufhalten. Solange sich die Kulturwissenschaftler vollauf mit der Bewertung des Datenueberflusses beschaeftigen, koennen die Westcoast-Visionaere ungehindert neue und verstiegenere Cybermythen produzieren und unters Volk bringen. Um im Datenraum nicht unterrepraesentiert zu sein, hat die Schriftproduktion der amerikanischen Postmoderne kuerzlich zum Kreuzzug geblasen, Heere von jungen AkademikerInnen versuchen derzeit unter Anleitung progressiver Proffesoren nach allen Regeln des Wissenschaftsbetriebs die randstaendigen Techno-kulturen ins Reich des politisch Richtigen zurueckzuholen.

Entgegen der Umstaendlichkeit der um schriftliche Objektivitaet bemuehten Archivare, finden die Evangelisten des Technopols nur wenig Widerstand. Jede kritische Bemerkung ist der Verfluessigung ausgesetzt und wird zur kurzlebigen Netzannekdote. Im Rauschen des Spekulierens geht es um das Durchspielen von moeglichen Modellen und auch Weltuntergang ist ein Szenario unter vielen. Technikkritik liefert dabei eine Position auf die Hippie- Konservative und Alternativ-Liberalen gerne mal einlassen, wenn es esoterisch-futuristisch aussieht und einen jugendlich-verrueckten Anklang hat. Der "Rage Against the Machine" dient vor allem der Verbesserung im Ich-Design beim Basteln an einer niedlichen, koerperbezogenen und familiengerechten Gesellschaftkritik. Jede zynische, erhabene Haltung raecht sich jedoch im Falle der 'Kritik der neuen Medien'. Man hofft, mit dem Heruntermachen einiger Modewoerter wie 'Multi- Media', 'Virtuelle Gemeinschaften', 'Cyberspace' und 'Tele-Arbeit' die damit verbunden gesellschaftlichen Umschichtungen wieder in den Hintergrund zu draengen. Aber vergebens. Neue Medien sind wie neugeborenen Kinder: sie koennen fruchtbar laut und andauerend schreien und das Verneinen hilft dann am allerwenigsten. 'Lasst uns einen Hype daraus machen und es verschwindet bald wieder", so die Hoffnung in den Kreisen der alten Medien. Es handelt sich hier um eine Oekonomie der Enttaeuschung: Wenn sich die Erwartungen an die Computerleistungen lange genug hinauszoegern lassen, kann der Fernseher wiedereingeschaltet werden.

Aus dem Willen sich nicht dermassen verkabeln lassen erwaechst schnell eine gewisse Vorliebe fuer die Altlasten der One-to-many- medien mit ihren Mythen von Gegenoeffentlichkeit und zentralisierter Manipulation. Bis Fernseher und Telefon zusammenwachsen muessen noch viele Hardwaregenerationen ins Land gehen. Dem real existierenden Nomadismus der corporate states wird eine zentralistische Ideologie der unzaehligen Kanaele entgegengesetzt. 'TV kills the Internet-Star' Der 'Net-Backlash' wendet sich gegen das taegliche Verschwinden in den Datenraum und seine pionierbedingt unertraeglichen Unpaesslichkeiten. Nacheuphorische Katerstimmung wird geschickt in allgemeine Zufriedenheit mit der bestehenden informationellen Grundversorgung umgemuenzt. Die Ueberforderung der Endbenutzer durch fremdartige Datenwuesten, monstroese Prototypen und heisgestrickte Betaversionen kann sich als produktivitaetssteigernd erweisen. Bis zur naechsten Innovation sind eine Reihe disfunktionaler Zwischenmodelle vermarktbar. 'Je schneller die Computer, um so langsamer die neue Software', so die Erfahrung des Powerusers 95.

Man sollte sich nicht lustig machen ueber die langsamen Verbindungen, halbfertigen Bilder, die ins Stocken geraten, rivalisierenden Softwarepaketen, die eng zusammengepackt, dauerhaft die Festplatte zum Ueberlauf bringen, e-mails die nie ankamen, maroden ISDN-Leitungen (gibt es sowas nur in Ost-Berlin?), Server die down sind, Mailinglisten die alle Post zweimal schicken und sich nicht mehr abbestellen lassen,die grosse Zahl der Websites die "under construction" bleiben, Schildkroeten-telnet, betteln um audienz beim System-adminstrator, interessante IRC-sessions wo keiner auftaucht, enttaeuschend hohe Telefongebuehren. Die Pioniere haben aber die richtige masochistische Mentalitaet und geniessen heimlich den Datenstau. Fuer den Wunsch ist es notwendig, dass die Maschine nicht richtig funktioniert. Fuer Visionaere aber ist der Performanceverlust einfach tabu und man darf davon nicht sprechen, geschweige denn darueber lachen.

Die Netzkritik ist ambivalent, sie steht mit einem Bein im staubigen Gutenberg-Archiv der schmutzigen Realitaet, mit dem anderen aber im koerperlosen Digitalia. Sie bringt das Unbehagen in der Information an die Oberflaeche und versucht das Unvereinbare produktiv zu machen, wie zum Beispiel die Schreib- und Uebertragungsgeschwindigkeit mit der der Reflexion. Es geht nach Virilio darum, wieder einen Moment der Enscheidung herbeizufuehren. Ziel dabei sind illegitime Anschluesse, hybride Konstruktionen, eine "Aesthetik der Verlangsamung" und eine ganz eigene Mischung aus lokalen und globalen Elementen. Es gibt kein Apriori mehr, auch keine Ueberlegenheit von Hardware ueber Software (trotz Kittler). Jede Verschaltung kann durch andere ersetzt werden, jeder Strom und jedes Kraftfeld waere umpolbar. Die Gesamtsicht bleibt dabei nur den Verschwoerungstheoretikern offen. Trotzdem braucht es eine neue materialistische Netzanalyse, die sich um Copyright und Kabelrechte sorgt. Es reicht nicht aus, sich von den Priestern des Wired-Evangeliums abzuwenden. Die Third Wave-Industrie muss angegriffen werden, inclusive ihrer zynischen New-Age-Ideologie. Digital marxism ist dafuer zu schwerfaellig. Seine Ideologiekritik bewegt sich nur noch im Bereich des Kulturkampfes innerhalb des Gutenbergischen Areals. Die Europaeische Kritik der Netze wird eher einen materiellen Kern nachzuweisen versuchen, waehrend die nordamerikanischen Analysen gegen die Entkoerperlichung argumentieren. Die Netzkritik kann sich dabei auf die Datenkritik stuetzen, welche besagt, dass Skepsis immer erst die eigenen Informationen einschliessen sollte. Es reicht nicht aus, die Grosskonzerne, Kleinunternehmer und naiven Netzbenutzer zu attackieren, sondern es gilt das Verborgene hinter den eigenen Metaphern ins Spiel zu bringen.

2. Ueber den kybernetischen Kritizismus

Betrachtet man die klassische Welt der Massenmedien von der Xyberkultur aus, erweist sich die Kritik als die wichtigste Produktivkraft bei der Erzeugung von Nachrichten. Eine schlechte Welt wird von schlechten Nachrichten erzeugt.

Nachrichtentechnologien koennen noch so sehr 'state of the art' sein, sie dienen dennoch, wie mehr und mehr beklagt wird, hauptsaechlich der Uebertragung von Schlechtigkeiten. Nach der Ansicht radikalkonstruktivistischer Fundamentalisten soll sich das beim gegenwaertig vollziehenden Medienwechsel aendern. Der Fernseher war ein Schrein des Boesen, die multimediale settop-box jedoch fuehrt uns in eine ungleich bessere Welt. Das intelligente Fernsehen der Zukunft wird einen Regler fuer selbstbestimmte emotionale Ballance besitzen. Die Endbenutzer werden an den "Stimmungskonsolen" zu Affekt-Jockeys die den Pegel zwischen Banal und Erhaben, Gesund und Pervers, Innen und Aussen, Wellen und Partikelstroemen, Titanischem und Zwergenhaftem eigenverantwortlich zusammenmixen koennen. Pay per View, surfwatch, Kindersicherung und Wahlberechtigungsnachweis gehoeren zur Standardausstattung des kommenden positiven Fernsehens.

Von der Turingmaschine zur Tugendmaschine entwickelte sich der digitale Code zur idealen Grundlage guter Nachrichten. In den elektronischen Netzen soll der analoge Schmutz verschwinden. Perversitaeten und Fleischeslust sollen ausserhalb der Codierbarkeit verlegt werden. Der Wert einer Nachricht muesse endlich durch die Reinheit der frommen Begierde bemessen werden damit der calvinistische Drang zum Reichtum sich ganz frei entfalten kann. "Anti-christen muessen draussen bleiben".

Die Umwertung aller Netzebenen (Waren, Energie, Wissen, Begierden) zielt auf die absulute Spiritualitaet des Geldes. Alle anderen Informationen und Resourcen sind in durch Geldwert referenzierbare Redundanzen umzuwandeln. Alles in Tauschwerten unkodierbare wird aus dem Netz ausgeschlossen, waehrend innerhalb des Systems durch Copyrightkriege, Standardisierungen und Sicherheitsprotokolle die romantische Idee der Freiheit und Gleichheit aller Information bei Seite geschoben wird, um im Museum fuer Netzgeschichte zu verschwinden.

Das "Desire to be wired' ist der heimliche Motor der Informationsgesellschaft. Der Wille zum Anschluss hat neben den soziologischen, psychologischen und systemtheoretischen auch eine neurologische Komponente. Elektronische Nervositaet basiert auf einer Kopplung von Libido und Elektrik und hat aus heutiger Sicht nichts Ungesundes, solange immer weiterproduziert wird. Nicht laenger Verdraengung sondern Archivierung aller Erfahrungen erhoeht die Taktgeschwindigkeit der Nerven und haelt den Kreislauf der angekoppelten Kapitalstroeme auf Trab. Reinheit, Sicherheit, Geborgenheit und Intimitaet sind die Grundtugenden im digitalen Biedermeier. Dreck wird lichtschnell exportiert. Die Familie wird ueber Telearbeitsplaetze wieder zum Garant sauberer Information und filtert und zaehmt die Quellen des elektrifizierten Sturm und Drangs. Aus der Urquelle elektronischer Nervositaet wird die universelle Turingmaschine zur Produktion von Ordnung angetrieben. Ganz am Ende der verschalteten Black Boxes steht die Ideologie einer digitalen Kreativitaet, welche fuer die Kombinatorik der Verhaltensweisen im Netz und die Aesthetiken der Navigation verantwortlich ist.

Das Negative wird als Urkraft der ganzen Nachrichtenindustrie gesehen. Eine Verschwoerung postmarxistischer Miesmacher hielte den gesamten Bereich des Informationsgeschaefts fest im Griff. Spaetestens seit dem Zusammenbruch des Sowietreiches sei ihr Kampf zu einem notorischem Genoergel verkommen, das von der fernsehenden Gesellschaft instinktiv durch die Flucht in allgemeine Datenschwemme abgemildert werde. Nur die Rueckbesinnung auf die Reaktualisierung radikaler Gutwilligkeit koenne das Umkippen der Realitaet in eine haltlose Dekadenz der unzaehligen Kanaele aufhalten. Unter der Flagge des "virtuellen Amerikas" dient der Cyberwesten als ein transzendenter Fluchtpunkt positiver Energien, um das Boese in die Reservate des Analogen zu verdraengen. Der froehlich-fromme Technovitalismus geht davon aus, dass in der Vernetzung ein Lebensprinzip verborgen sei, das am besten durch ausgiebige Kommerzialisierung zur Entfaltung gebracht werden koenne.Solange alles fliesst waechst und gedeiht der Organismus des Kapitals und die Wellenmuster des Boersenmarktes verstaerken sich zu spektakulaeren Hoehen und Tiefen.

Die Menschheit als Mittelklasse hat eigentlich nur Gutes im Sinn, sobald jedoch ueber sie berichtet wird, stellt sich automatisch das Boese in den Vordergrund. Kriege, Krisen, und Katastrophen sind Medieneffekte. Wenn das technisierte Simulakrum wirklich die Welt beherrscht, sollte es doch moeglich sein, durch die Umlegung eines Schalters die Dinge zum Guten zu wenden. Wie bei der Atombombe im Ursprungsmythos des Netzes wird alles Schlechte als Abkoemmlung eines groessmoeglichen ausserdigitalen Bugs aufgefasst, um den herum sich automatisch die heile Welt des Netzes herumleitet. "You 're in trouble? We'll rout around it."

Die Versessenheit auf Positivitaet in der heutigen Xyberkultur geht von der Existenz einer reinen Quelle des Medialen aus. Nicht laenger Kommunikation, sondern die Umittelbarkeit der Rueckkopplung liefert totale Praesenz, wobei alle Ebenen des Sinnlichen durch verschiedene Multimedia-Bioadapter ersetzbar werden sollen. In der black box des Sender-Empfaenger Modells verbirgt sich Enttaeuschung, Betrug, Passivitaet und staendige Entmutigung. Alle Widersprueche, Paradoxien und Dialektiken werden im Archiv durch nicht wahrgenommene Zugaenglichkeit neutralisiert. Hinter allem Nichtlinearen waltet das Prinzip des Survival of the Smartest welches schliesslich den Erfolg der Schlauen Technologien mit einem automatisierten Vitalprinzip begruendet. Die naechste Stufe der Evolution verheisst eine Vereinigung von Natur und Technik durch die Methoden von kuenstlichem Leben, Chaosforschung, intelligenten Implantanten und oekologischen Gesellschaftsmodellen. Die Machbarkeit des Guten soll sich schon heutzutage in Biochips, groupware und techno-culture materialisieren. Die Lesbarkeit der digitalen Welt wird durch den pragmatischen Ansatz sicherer User- Interfaces, intelligenter fuzzy logic und genetischen Algorithmen immer schwieriger gemacht.

Konstruktive Kritik ist das Produkt eines positiven Feedback mit den eigenen Verhaeltnissen. In den comp.sys newsgruppen wird viel ueber die Verbesserung der eigenen Werkzeuge diskutiert. Negative Kritik wird zur schwer absetzbaren Ware in einer Umgebung neutralisierter kultureller Widerstaende und einem staendigem Updating. Nihilismus gilt als europaeische Erkrankung der durch festen Glauben entgegengetreten werden kann. Der kybernetische Kritizismus ist mit Vorliebe mit sich selbst beschaeftigt, und produziert eine Aesthetik interesseloser Nutzlosigkeit. Der Ausweg in die staendige Wiederholung der kleinen Begierden fuehrt in seiner Anwendung zu Cybersex am Arbeitsplatz, E-mail-Intrigen, und einer ganzen Strategie der Verlangsamung und angenehmen Lethargie im Angesicht des Grosskapitals.

Kritik als Trendforschung hat jedoch Konjunktur in den Glasbetonbunkern sinnsuchernder Zukunftsunternehmer. Solange konstruktive Kritik visionaer die jeweils naechsten Zustaende vorwegnimmt ist man durchaus bereit, fuer die Bifurkationen der Querdenker hohe Summen zu investieren. Das Paradigma der Anwendungsorientierung eroeffnete den Akademien den Zugang in die Vorstandsetagen. Cultural Studies of the Net gehoert zum Pflichtprogramm bei der Entwicklung von Internet Shopping Malls. Jugendkultur wird ununterscheidbar zu corporate culture, solange sich ihr Einzugsbereich weit in die unterentwickelten Zonen ausdehnen kann. Unternehmerische Schulung ist durch die Entdeckung von Marktnischen ersetzbar. Es gehoert zum guten Ton des skeptischen Hedonismus auf die Kreativitaet der Subkulturen zu vertrauen. Der Mehrwert an Praesenz den die Tribes der Queer Communities, Black Culture und anderweitig Peripheren verheissen, wird durch wohlwollende Aneignung in extra Sendungen und Spartenprogrammen honoriert.

Die Kritik der Netze kann sich nicht auf das Testen von Performance und Effizienz und Preisleistungsverhaeltnis beschraenken, sondern beschreibt die Netze als Machtapperate. Die konspirative Vernetzung der durch den Anschluss hergestellten Einschluesse und Ausschluesse stellt sicher, dass es keine andauernden herrschaftsfreien Zonen geben kann. Der Gefahr des pradoxalen Wiederauftauchens des Verneinten wird mit aller Unprofessionalitaet entgegengetreten. Netzkritik unterscheidet sich von Textkritik durch eine hedonistische Qualitaet bei der Bejahung sozialer Praxis und dem Vertrauen in die Macht der Disfunktionalitaet. "Critisism will take you beyond the borders of boredom." Im Theater der Machteffekte gibt es immer einen Platz von der aus sich das Spektakel der Vernetzung in Ruhe geniessen laesst. Das Netz ist nicht das Leben. Seine Kritik speist sich nicht aus der Tradition der Priester und Technokraten sondern der der Haeretiker und Techniker mit ihrem profunden Wissen um die Beschraenktheiten technischer Kommunikation. So laesst sich immer eine systembedingt undichte Stelle in der heilen Virtualitaet finden. "Die Netze sind hinter uns her, aber wir sind schneller!"

Radikale Medienkritik muss sich der Verb|rgerlichung der Kritischen Theorie stellen. Noch in den 80er Jahren galt die Philosophie des Abschieds von den Klassikern der Moderne als besonders fortschrittlich. Im Konfrontationsdiskurs mit den grossen Bloecken ging es um Aufloesung der unertraeglichen Dualitaeten. Die kollektive Konstruktion von Fluchtlinien, das Vertrauen in die Vielfalt von Intensitaeten und Immaterialitaeten, der Rueckzug in autonome Zonen und Kulturbetrieb, fand je seine eigene Art sich dem 0-1 des atomaren Gleichgewichts gegenueberzustellen und gipfelte in einer Vertiefung der kantschen Trennung des freidenkendem Privatmanns vom diszipliniertem Untertan. Technologie, Medien und Netze werden als neutrale Infrastruktur erfahren welche den oeffentlichen Raum der gesellschaftlichen Konflikte ersetzen.

Als Spiegelerscheinung der interaktiven Oberflaechen entwickeln sich vielfaeltige exotische Privatpraktiken, welche mit leichter Verzoegerung in die Diskurswerkstaetten der Macht aufgenommen werden. Aus der Unterscheidung von Information und allem anderen, etablieren sich die Kontrollgesellschaften entlang der Netz-kanten und knoten. Der freie Buerger hat gemaess der Formate, Standards und Gebuehren alle Daten an der Hand sich eine aufgeklaerte Meinung bilden koennen, die er nur unter grosser Anstrengung zu formulieren im Stande ist. Alleine die Ausbildung eines 'richtigen' Meinungsprofils erfordert eine gewisse Ordentlichkeit in der Auswahl der Quellen, die durch die entsprechenden Institutionen in Presse und Staat bereitgestellt wird. Beim Reduzieren von Komplexitaet und der Uebersetzung von Daten in Information helfen politische Korrektheit und Nicht-Rauschen als erste Buergerpflicht. Im spaetmedialen Brumaire passt sich die Datenlandschaft geschmeidig den Neigungen und Nachfragen der privaten Begierden an und trennt diese von der abstrakten Abwesenheit gesellschaftlicher Entscheidungsprozesse. Bei genuegend Willen zur Organisation kann eine ehemals aktivistische Basis muehelos in Adressenverteilern abstrahiert, administriert und aktualisiert werden. Die romantische Phase der anarchischen Netze geht in die Forderung nach informationeller Grundversorgung, digitalem v.i.S.d.P., universellem Datenschutz und sicherem Homebanking ueber. Es gibt keine Positionen mehr sondern Privatmeinungen, eine journalistische Informationsoekonomie der Buzzwords spaltet das Elend der Aussermedialen von der priveligierten Aufklaerung durch Expertenrunden und Betroffenenvertretungen. In den Diskursbunkern der utopisch Korrekten wird derweilen die Uebernahme der Weltregierung durch flaechendeckende ethische Sauberkeit vorbereitet. 'Vertrauen ist gut Kontrolle ist besser' (Lenin).

3. The unbearable lightness of being digital

Es gibt eine objektive Analyse des Netzes. Arthur Krokers 'virtual class' zeigt jetzt schon ihr brutales Gesicht. 'I think elites basically drive civilization' (Steward Brand, Netzguru). Wir fertigen eine Karte der politischen Oekonomie der Medienverbuende an, worauf die Machtverhaeltnisse bestehender und geplanter Joint Ventures, \bernahmen und Fusionen zwischen Telcom, Film, Fernsehen, Kabel, Software und Hardwareindustrie eingezeichnet sind. Es laesst sich eine historische Paralelle zur Elektrifizierung zur Jahrhundertwende ziehen. Auf den kommenden Weltausstellungen praesentieren sich die 'networks of power' der Medienindustrie (Thomas P. Hughes wiederlesen). Multinationale Konzerne uebernehmen die Funktionen staatlicher Institutionen und etablieren eine Gesellschaft der Kontrolle und permanenten Fortbildung (Deleuze). Die Ideologiekritik hat es heute wieder einfach: "One billion people on the internet by the year 2000" (N. Negroponte). Die Omnipotenzphantasien der kindischen Visionaere californischer Auspraegung verbreiten sich dabei ironischerweise fast widerstandslos ueber alte Medien. Die Aufloesung aller sozialstaatlichen Institutionen ist ihr Programm. "Oppressive 20th century institutions - public schools, the mass media, government - will crumble" (Kevin Kelly)

Die Dialektik der Nomadologie wendet sich im Namen des Kapitals gegen alles was sich der Verfluessigung entgegenstellt (Mille Plateaux umschreiben?). Der klassische Arbeiter der Materialwirtschaft wird einem Regime der Echtzeit unterworfen. Amerikas Herrschaft wird f|r die 'Digerati' nicht mehr durch militaerische Interventionen sondern durch Kolonialisierung mittels Kommunikationsstandards gesichert. Die selbsternannten Illuminaten der Wired World glauben sie waeren "the most powerful people on the planet today". F|r sie ist Internet eine religioese Erfahrung und "the key to the new american soul". Die Propheten des cyberspace age sehen ein virtuelles Amerika hinter dem Horizont der "electonic frontier" emportauchen. Die Matrix, das gelobte Land der neuen Pilgervdter, waechst mit jedem Anschluss weiterer Gigabytes und wird durch ewiges 'virtual light' beleuchtet. Alteuropaeische Esoterik, Hippiebewegung und oestliche Mystik liefern das Spielmaterial fuer die Slogonomics der Tele-evangelisten und virtuellen Unternehmensberater.

Die Netzkritik macht den Abgrund hinter den farbenpraechtigen Oberflaechen von World White Web sichtbar. Daneben gibt es jedoch auch eine Analyse der Subjektivitaeten. Politische Oekonomie und Ideologiekritik reichen nicht mehr aus wenn die Uebersetzung in soziale Praxis misslingt. Die kollektiven Auesserungsgefuege von usenet, mailinglists, ezines und bbs tendieren zu autoreferentieller Selbstgenuegsamkeit. Es gilt die Grauzone der lurkers, slackers, cruisers zu erkunden. Gerade diese Gruppe hat das Internet auf das Niveau der Massenmedien gebracht und dafuer gesorgt, dass die Hackerethik ins Schwanken geriet und zu Stoff f|r Hollywood wurde. Die Umsetzung der Idee der 'virtual community' blieb durch zuviel Transparenz und zu schnelles Wachstum eine vielbeachtete Ausnahmeerscheinung. Als Lockmittel fuer den Anschluss von "the rest of us" diente Virtual-Sex, Gratissoftware und.die Metapher der Autobahn als Arbeitsbeschaffungsmassnahme fuer eine arbeitslose future generation. Der Wissenschaftsbetrieb und das Militaerwesen verblieb vorwiegend auf den entwicklungsgeschichtlich aelteren ftp- und gophersites oder zog sich in sichere Teilnetze zurueck. Heute ist jeder ein Webmaster, aber nur die wenigsten machen von den Moeglichkeiten der Distribution viel mehr Gebrauch, als der Zurschaustellung ihrer Individualitaet in aufwendig gestalteten Home-pages. Der digitale Narzismus hat wie vorrausgesagt eine weitere Ausdehnungszone der Intimitaet geschaffen, in der sich der Medienbenutzer in Rueckkopplung mit seinen Wuenschstroemen aufs vielfaeltigste narkosieren und verlieren kann.

Mit der Massenverbreitung des Netzes kommt die Frage nach seiner Notwendigkeit auf. Es ist nicht die unbedingte Aufgabe der Kritik autonome Nutzungsweisen zu propagieren, dennoch kann sie kann auf den traegen Widerstand des undramatischen Alltagstrotts vertrauen, bei der Internet nicht mehr als Geheimtip fuer die Info-Elite gilt, sondern sich einreiht in die Grundversorgungsdienste von Wasser, Gas, Strom und Telefon mit ihren selben Pannen und Privilegien. Es macht nichts den Anschluss zu verpassen, denn es gibt immer andere Wege seine Zeit zu verschwenden. Die erste Regel der Netzkritik sagt: 'Du musst dich nicht dermassen anschliessen lassen'. Es geht nicht darum eine exclusive Standleitung in Richtung schmutzige Realitaet zu legen, sondern den real wiederzuverwerten. 'The aesthetics of uselesness' betrachtet das Leben nicht als Kompensation fuer das Online-Sein, sondern spielt mit zweckfreien hybriden Schaltungen zwischen alten und neuen Maschinen und ihrer Erzeugnisse. 'European Useletics' (www.jodi.org) ist die froehlich-nihilistische Antwort auf die geglaetteten Oberflaechen kalifornischer Erweckungseuphorie, akademisch-protestantischem Minimalismus und durchkommerzialisierter Widerstandskultur.

4. Ueber die Frage : "Was ist Netzkunst"?

"Die Ein und Auschlusskriterien der Netzwelt lassen sich am besten ueber eine genauere Beobachtung von Architektur und Zugang beschreiben. Die Moeglichkeiten des Anschlusses werden zwar derzeit im Hinblick auf exponentielle Wachstumsraten positiv beurteilt, dennoch stellt sich die Frage nach der Darstellbarkeit der virtuellen Welt der Zukunft gegenueber ihren Benutzern." (N.N.) Werden wir ueber die reine Abbildung hinaus in der Lage sein, eigene Gesetzmaessigkeiten zu entwerfen oder wird eine Kunst der Netze der Hervorhebung und Huldigung bestehender Machtverhaeltnisse dienen? In der Hierarchie der Uebertragungsprotokolle steht die reine Kreativitaet der autonomen Kunst an oberster Stelle. Es wird nach den genialen Kuenstlerpersoenlichkeiten gesucht, die in der Lage sind die digitale Revolution in einen monumentalen Konstruktivismus zu uebersetzen. ('net=art?', Heath Bunting) Nur die Kunst hat das Privileg das Erhabene zu materialisieren. Hierzu muss sie von den anderen Bereichen des Gesellschaftlichen nach Moeglichkeit getrennt und geschuetzt werden. Intensiv wird an einem symbolischen Wiederaufbau der White Cubes und der grossen Museen im imaginaeren Raum der Informatiosnetze gearbeitet. 'Jeder Kuenstler sollte das Recht auf eine kostenlose Homepage haben' so die virtuellen Galeristen. Die Digitalisierung und Lizensierung der 100.000 Meisterwerke schreitet stetig vorran. Der Kuenstler mit Zirkel und Lineal wurde abgeloest von der Meta-designerIn mit Algorithmus und SGI-Work-station. Net-modernism erfordert wieder uebermenschliche Leistungen. Ersteinmal gilt es alle Kombinatoriken des Historismus zu durchlaufen, E-Barock, VR-Renaissance, abstrakter Expressionismus und saemtliche Phasen des Modernismus werden in Hot Java Scripts implementiert um dem vermeintlich Radikal Neuen des Kommenden einen Weg zu bahnen. Nicht die digitale Bildaesthetik sondern das Phantasiedesign der libidonoesen Kanalsysteme, nicht Infragestellung sondern Kompensation von Kritik, nicht Wertevakkum sondern pompoese Szenarien, deuten auf die grossen Aufgaben der Kunst als Rettung der Netze. Gefragt sind: der Hoelderlin des Interaction Designs, der E-mail-Kafka, der Giotto des elektronisches Barocks, das Netz als Lustgarten, der Goebbels der net-elections'96, nicht jeder ein Duchamp, DigiDada eher weniger, die Jpeg-Picassos, surreale 3D-Zentralperspektiven, eine Mme Bovary unter den Avataren, Mbone-Marinetti, C++ Pollock und der James Joyce des Hyperspace.

Eine zu findende pragmatische Aesthetik des Netzes befasst sich darueberhinaus nicht nur mit den einzelnen Objekten und Werken sondern mit dessen Architektur allgemein. Wie ist Orientierung moeglich? Wie schafft man sich einen elektronischen Koerper? Was ist Kultur im Zeitalter der Massennetze? Sollen die Kuenstler fuer die Autonomie des Netzes einstehen, als Interface-designer das Volk erziehen oder das schlechte Gewissen des globalen Dorfs vertreten? Sollen sie als semiotische Guerillias die unausgelebten Phantasien der Unterversorgten ins Werk setzen? Gibt es eine Notwendigkeit fuer die kuenstlerische Weiterentwicklung von Film und Fernsehen? Muss es denn schon wieder eine Ausstellung sein?

Vieles deutet darauf hin dass Kunst als Kunst versucht unsichtbar zu werden und sich in den Bereichen der Wissenschaft, der Werbung und des Workgroup-managements den ueberzogenen Anspruechen einer Debakel-Gesellschaft zu entziehen. Der Immigration der Marginalen in die Zentren steht die Flucht aus den Burgen der Hochkultur gegenueber. Das Wertevakuum zeitgenossischer Kunst, die staendigen Missgeschicke beim Erfuellen der eigenen Standards, das Diktat von Korruption, Filz und Karrierismus, die Delirien der Theorie, der Ekel der Langeweile, die Abhaengigkeiten von Industrie und Beamtentum, sowie ein allgemeiner Unwillen seitens der betuchten Kaeuferschaft, machen es leicht von der lokalen Krise auf eine umfassendere gesellschaftliche Entscheidungsunfaehigkeit zu schliessen. Die Netze spielen wohl irgendeine Rolle, jedoch koennen sie weder ein marodes Kunstsystem reformieren, noch sind sie in der Lage in der Fortfuehrung der musealen Medienkunst der letzten 20 Jahre noch besondere Erkenntnisgewinne zu ermoeglichen. Was wir bereits viel haben ist Kitsch, Pathos und Illustration im Namen des beliebig Anderen. Man hoert jedoch auch von einer viralen aesthetischen Pragmatik die alles dafuer tut sich mit umfassenderen Mutationen zu beschaeftigen, und in den Falten des Betriebs ganz eigene temporaere und vage Singularitaeten ausbildet, die zu allererst Methoden darstellen sich der Adressierung und Entwertung in den 'cultural networks of power' zu entziehen. Im besten Fall hiesse es also "Es gibt keine Netzkunst."

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5. Virtuelle Sauberkeit

Unter dem Schlachtruf 'Unser Netz soll sauber werden' versucht eine sich bedroht fuehlende Mittelklasse ihre Wertestandards dem vorwiegend amerikanischen Cyberspace aufzupraegen. Die virtuelle Klasse (Arthur Kroker) von 1995 ist nicht anders als du und ich, sie ist nur ungleich gewaltsamer bei der Durchsetzung ihrer Ordnungsvorstellungen. Damit der 'data body' (CAE) intakt bleibt, muessen eine Reihe von Paessen, Versicherungen, Biographien, Bankkonten und Polizeiakten von jedem Schandfleck frei gehalten werden. Hierzu sind etliche Vorsichtsmassnahmen und Kontrollen vonnoeten, die nur durch Drohung mit Gericht, sozialem Ausschluss und einer Logik des Unheimlichen durchzufuehren sind.

Die wirkliche Welt des Materiellen und der weniger Begueterten hat unter der Diktatur der Information zu leiden. Der outgesourcte Angestellte, der in Bangladesh fuer ein Buero in Berlin Belege ausfuellt, konkurriert mit den intelligenten Idioten die in den Computern des Microsoft-network automatisch Preis- Leistungsverhaeltnisse errrechnen. Die Ungerechtigkeit des Internets basiert nicht nur auf einer Benachteiligung der Nichtangeschlossenen, es koennte sich geradezu als ideales Werkzeug der Kolonisierung und Machterhaltung erweisen, eine ausgekluegelte Verwaltung der Anschluesse und Uebertragungstandards vorrausgesetzt.
Waehrenddessen versuchen visionaere Okoelogen das Ungleichgewicht der Macht zwischen den Sphaeren von Materie, Energie und Information durch Umrechnungstricks als oekomomisch-ethische Zukunftschance zu verkaufen. Den Expansionsmoeglichkeiten der Informationsgesellschaft sind physikalisch nur durch die Groesse eines Atoms Grenzen gesetzt. Psychologisch gesehen ist Miniaturisierung und Digitalisierung mit einem erheblichen spirituellen Mehrwert verbunden, da sie die 'Koerper der Botschaften' auf das Mindestmoegliche zu reduzieren vermag. Durch weitgehende Migration auf die Elektronenebene kann materieller Schmutz und Energieverschwendung vermieden werden. Die langen abendlaendischen Geschichten von Ideenwelt, Transzendenz und Koerperfeindlichkeit haben endlich einen Weg gefunden vom Buch in die gnostischen Wundschmaschinen ueberzugehen. Selbst die Staatskirchen koennen endlich getrost schliessen. Diese Mikroelektronik der Macht ist jedoch nicht mehr nachzuvollziehen fuer den Mittelstandsbuerger, er benoetigt nicht nur graphische Benutzerschnittstellen sondern vor allem ??????

Virtuelle Sauberkeit versucht sich erneut am Modell einer heilen Welt. Die digitiale Gartenstadt kennt keine Muellabfuhr, stattdessen wird einfach ein neuer Stadtteil errichtet, wo sich die Liebhaber jeglicher Couleur richtig austoben konnen. Im Spiegelkabinett der WebPages gibt es aus technischen Gruenden keinen echten Schmutz. Dieser taucht in Form von Stromausfaellen, Stoerfeldern oder Systemabstuerzen, bestenfalls in der Aesthetik von Programmierfehlern auf. Virtueller Schmutz ist kontextuell definiert und funktioniert nach dem Modell 'Rasen nicht betreten'. Man moechte unter sich bleiben in den digitalen Salons aber goennt sich den ein oder anderen derben Witz......

Digitalitaet ist ein universelles Reinigungsmittel fuer allen Schmutz dieser Welt.